Sortieren bei Regen – Winzerin Julia M. aus der Loire
Es ist Oktober, kurz nach sieben Uhr morgens.
Der Himmel hängt tief, und der Regen kommt schräg. Wir lesen trotzdem. Der Wetterbericht war falsch, wie so oft. Wenn man wartet, bis es perfekt ist, verliert man hier an der Loire schnell die halbe Ernte.
Ich leite ein kleines Weingut
in der Nähe von Saumur – Chenin Blanc, etwas Cabernet Franc. 6,5 Hektar, alte Reben, kein Tropfen Bewässerung. Der Boden ist Tuffstein, hell, fast kalkig. Er speichert Wärme, aber bei Regen wird er seifig. Heute ist alles rutschig, selbst die Eimer.
Wir lesen von Hand,
in kleinen Kisten à 15 kg. Das Team ist routiniert, niemand redet viel. Regenjacken rascheln, die Gummistiefel saugen sich voll. Nach jeder Reihe kommt die Kontrolle: Faule Beeren raus, unreife aussortieren. Es klingt banal, aber genau hier entscheidet sich der Jahrgang. Ein paar Fäulnisnester reichen, um später eine ganze Charge zu kippen.
Ich habe das Sortierband unter dem Vordach aufgebaut – improvisiert mit Planen und einem alten Lichtmast. Das Wasser tropft von der Kante, die Hände sind kalt, aber der Rhythmus stimmt. Wir sortieren jede Kiste durch, schneiden, prüfen, kippen den Rest in die Presse.
Chenin Blanc verzeiht nichts. Wenn die Beeren zu nass sind, muss man vorsichtig pressen – geringer Druck, langsames Ablaufen. Sonst kommt zu viel Phenolik, und der Wein wird hart. Ich messe den Most regelmäßig: heute 92 °Oechsle, pH 3,2 – perfekt. Trotz Regen.
Im Keller läuft die Gärung spontan an.
Ich habe den ersten Tank gestern beimpft, aber nur mit etwas Saft aus der Vorlese. Keine gekaufte Hefe, keine Temperatursteuerung. Es gärt, wie es kommt. Ich sage immer: Die Natur hat mehr Erfahrung als ich.
Am Nachmittag hört der Regen auf.
Wir sind durch, durchnässt, aber zufrieden. Ich gehe kurz durch die Reihen, sehe die letzten gelben Blätter, den Dampf über der Erde. Das ist Weinbau, wie er wirklich ist: schmutzig, unplanbar, ehrlich.
Wenn ich später im Keller die Pressen höre und den Geruch von frischem Most in der Luft habe, weiß ich: Alles richtig gemacht. Kein Hochglanz, keine Idylle – nur Arbeit und das gute Gefühl, dass der Jahrgang lebt.